Die Schweizerische Epilepsie-Liga hat die Richtlinien „Fahreignung mit Epilepsie“ leicht überarbeitet und in einigen Punkten abgemildert. Weiterhin dürfen Epilepsiebetroffene unter bestimmten Bedingungen Auto fahren.
(Zürich, Dezember 2019) In Berlin bewegte im September ein Unfall mit tödlichen Folgen die Gemüter: Offenbar erlitt der Fahrer am Steuer einen epileptischen Anfall. Schnell taucht dann, auch in der Schweiz, in Presse und Social Media die Frage auf: Dürfen Menschen mit Epilepsie überhaupt fahren? Und sind die Regeln dazu noch angemessen?
„Die Sorgen sind nachvollziehbar nach einem so schrecklichen Unfall“, sagt Prof. Dr. med. Stephan Rüegg, Präsident der Epilepsie-Liga. „Aber nach aktuellen Studien verursachen andere medizinische Probleme 26-mal so viele tödliche Unfälle wie Epilepsie; Alkoholmissbrauch erhöht die Gefahr eines tödlichen Unfalls um den Faktor 156 verglichen mit Epilepsie.“ [1] Auch junge, gesunde Männer stellen am Steuer ein deutlich erhöhtes Risiko dar. In der öffentlichen Wahrnehmung werde die Bedeutung von Epilepsie oft überbewertet im Vergleich zu ähnlich grossen Gefahren, zum Beispiel durch Diabetes oder Herzprobleme.
Keine Verschärfung notwendig
Deshalb sieht die Epilepsie-Liga keinen Anlass, ihre Richtlinien zu verschärfen. Im Gegenteil, die zuständige Verkehrskommission hat sie für die aktuelle Neuauflage, publiziert im November 2019, in einigen Punkten sogar leicht abgemildert. Weiterhin dürfen Epilepsiebetroffene in der Regel nach einem Jahr ohne Anfälle wieder Auto fahren.
Behandlung aus Vorsicht berücksichtigt
„Neu können die Einschränkungen individuell festgelegt werden, wenn Menschen schon nach einem ersten Anfall vorsichtshalber Antiepileptika einnehmen“, sagt der Präsident der Kommission, Dr. med. Pierre Arnold aus Sion. In manchen Fällen reiche bereits ein dreimonatiger Verzicht aufs Autofahren aus. Wer ausschliesslich nachts epileptische Anfälle erleidet, darf nunmehr nach zwei statt zuvor erst nach drei Jahren wieder fahren.
Gestrichen wurde der Abschnitt über sogenannte „drohende Epilepsie“ aufgrund anderer Krankheiten des Gehirns, z.B. Hirntumoren – das tatsächliche Anfallsrisiko lässt sich nicht genau abschätzen. „Hierzu empfehlen wir neu einen individuellen Ansatz“, sagt Pierre Arnold.
Die neuen Bestimmungen im Rahmen des Programms „Via sicura“ ändern die bisherige Praxis kaum: Nach wie vor sollte die Fachmeinung eines Neurologen entscheidend sein.
Strenge Regeln für Profis
Unverändert streng sind die Regeln für professionelle Chauffeure: In den meisten Fällen müssen sie sich nach einer Epilepsiediagnose beruflich neu orientieren, denn das Steuern von Lastwagen und der berufsmässige Personentransport sind erst nach fünfjähriger Anfallsfreiheit ohne Medikation wieder erlaubt.
Internationale Vereinheitlichung wünschenswert
Bedauerlich ist aus Sicht der Epilepsie-Liga, dass die Regeln innerhalb Europas nicht einheitlich sind –Betroffene müssen sich vor jedem Grenzübertritt am Steuer erst erkundigen, ob sie im Nachbarland auch fahren dürfen. „Für die Zukunft hoffen wir auf eine engere Zusammenarbeit in Europa“, sagt Liga-Präsident Prof. Dr. med. Stephan Rüegg. Im Rahmen des European Congress on Epileptology, der im Juli 2020 in Genf stattfindet, plant die Epilepsie-Liga ein entsprechendes Symposium.
Die neuen Richtlinien erschienen im Swiss Medical Forum vom 6. November 2019: https://medicalforum.ch/article/doi/smf.2019.08402
[1] Naik PA, Fleming ME, Bhatia P, Harden CL. Do drivers with epilepsy have higher rates of motor vehicle accidents than those without epilepsy? Epilepsy Behav. 2015;47:111–4. https://www.epilepsybehavior.com/article/S1525-5050(15)00168-7/fulltext